Sonntag, 8. August 2010

BestCase 10rappen.ch: So wird Online-Campaigning heute gemacht!




Während andere NGOs noch darüber nachdenken, ob sie sich denn auch in die sozialen Medien bewegen sollen - hat die schweizer NGO "Erklärung von Bern" gezeigt, dass Online-Campaigning auch in der Schweiz funktionieren kann. Und auch, dass Social Media nicht nur "Ich hab 840 Fans auf Facebook" bedeutet. Danke an EvB, genauer an Roseli Ferreira, für die schnelle und ausführliche Beantwortung meiner Fragen per E-Mail: Das ist Social Media Management wie es sein sollte! Ich will diesmal vor allem auf die Bewerbung der Kampagne eingehen, da dies für viele NGOs noch eine BlackBox darstellt.



INHALT:
Die Krise:
- 10 Rappen mehr pro T-Shirt würde Näherinnen in Entwicklungsländern reichen, um ein würdiges Leben zu führen. Schuld daran sind vor allem westliche Mode-Labels, die zwar den gesetzlichen Mindestlohn zahlen, dieser sei in vielen Ländern aber aufgrund des Konkurrenzdruckes jedoch geringer als der Existenzlohn.

Die Opportunity:
- Unterstützer können jede Woche (über 10 Wochen) bis zu 4 Modelabels eine persönliche Botschaft inklusive individualisiertem Video senden. Somit kann Druck auf die Labels ausgeübt werden, da diese erkennen, dass viele ihrer Kunden sich fairere Arbeitsbedingungen für die Herstellung der T-Shirts wünschen.

Die kreative Umsetzung:
- Grafisch ist die Protest-Aktion sehr schön umgesetzt, wenn auch manchmal schon ein bisschen zu viel auf einmal. Das im Zentrum stehende Kampagnenvideo schafft es innerhalb weniger Minuten das Problem auch für vorher-nicht-involvierte Besucher einfach, verständlich und trotzdem professionell darzulegen: Respekt! Schön finde ich auch, dass dem Protestieren die Möglichkeit angehängt wird zu spenden, was laut EvB auch rege genutzt wird!


BEWERBUNG:
Online-PR? "Wir haben unsere Kampagne am Montag, um 10:00 mit einem Artikel auf 20min.ch lanciert: http://www.20min.ch/finance/news/story/10405581. Der hat einmal für kontroverse Kommentare gesorgt( 137 Stück), was gut ist, und zeigt, wie bewegend das Thema ist, und für ca. 40% des Traffics an diesem Tag"

Kooperationen? "Wir haben eine Kooperation mit der Aktion 72 Stunden – all diese Jugendlichen haben in den letzten Wochen ein Aktions-Paket erhalten, in dem auch Kampagnenmaterial von uns drin war. Um das nachvollziehen zu können, haben wir unterschiedliche URLs kommuniziert. Am Tag des Launches stammten ca. 35% des Traffics von dieser Aktion."

Soziale Netzwerke? "Facebook ist in der ersten Woche auf Platz 2 der Referrer, Twitter auf Platz 10. Via Facebook und Twitter sind diverse, meinungsstarke Blogs auf die Kampagne aufmerksam geworden und haben darüber geschrieben, bspw.: http://www.kirstenbrodde.de/"

Newsletter? "Auf unseren Sonder-Newsletter am Dienstag hin hagelte es Proteste und Online-Spenden; wir haben einen Verteiler von ca. 20‘000 Adressen"

Banner? "Wir haben keine Banner geschaltet; in unserem Partner-Netzwerk haben einzelne NGOs jedoch auf die Kampagne verwiesen..."


ERFOLGSFAKTOREN BEWERBUNG:


Einbindung der Unterstützer:
Grundlage sämtlichen Bewerbungserfolges war demnach die Einbindung der Unterstützer, in diesem Falle per "Aktionspaket" zum Anfassen. Die Unterstützer bekommen somit nicht nur das Gefühl Teil der Kampagne zu sein, sie SIND Teil der Kampagne. Die 137 Kommentare bei 20min.ch wurden vermutlich stark durch die Aktivität dieser Kern-Unterstützer forciert

Soziales Objekt:
>> Jedem Unterstützer wird nach dem Versenden der Protest-Mail ein personalisiertes Video zur Verfügung gestellt, das sogenannte "soziale Objekt". Aufgrund der Personalisierung erhält dieses einen höheren Viralitätswert - der Unterstützer kann das Video somit einerseits nutzen um den Protest voran zu treiben (durch Bedürfnisse anderer angetrieben) als auch zeigen, dass er selbst daran teilgenommen hat (durch eigene Bedürfnisse nach Selbstdarstellung angetrieben). Laut EvB senden etwa 1/3 der Protestanten ihr Video auch an ihr soziales Netzwerk, was bei 3.900 Unterschriften immerhin 1.300 "kostenlose" Mitteillungen sind!

Crisis-tunity:
>> Julius van de Laar, Deutschland-Leiter von Avaaz, hat mich mit diesem Begriff vertraut gemacht. "Die Krise muss da sein, aber es braucht auch die Möglichkeit daran etwas zu ändern." Hier wird nicht gesagt: Sende einen Protest an irgendeine Produktionsstätte in Indien. Hier wird ein dem Unterstützer vertrauter Konzern (Model-Label) als "Feind" dargestellt, der befeuert wird. Und jeder Konzern heutzutage weiss, was schlechte Social-Media-Publicity für ihn bedeuten kann (siehe Nestle). Somit bietet man dem Unterstützer ein Feindbild aus seiner eigenen Lebenswelt.

Retention:
>> Jede Woche (10 Wochen lang) werden 4 weitere Modelabels vorgestellt, welche sich nicht für einen Existenzlohn verzichten. Der Unterstützer kann eine Reminder-Email bestellen und somit immer wieder am Protest teilnehmen und natürlich auch als Mutliplikator der Botschaft fungieren. Dieses Prinzip gefällt mir extrem gut, da ich das so bisher noch nicht gesehen habe.


FAZIT: Thumbs Up!

P.S.: Eventuell würde ich über eine kleine Facebook-Anzeigenschaltung mit stark fokussierter Zielgruppe nachdenken, um den Protest am Laufen zu halten...

Freue mich über Feedback! Cheers, Christoph

1 Kommentar:

  1. Sehr schöne Analyse über eine wirklich tolle Kampagne. Toll gemacht.

    PS: ein direkter Link zur Kampagnenseite im Artikel erspart das abtippen. ;)

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